Wenn Tod und Teufel sich ein Stell-dich-ein geben

Ich liebe Blogparaden, allerdings habe ich die unangenehme Eigenschaft mir viele auszusuchen und am Ende wenige zu schaffen – zumindest in der Zeit, in der die Blogparade laufen. Ich bin ehrlich, für mich wäre es besser, sie wären über das Jahr verteilt, statt dass sie einmal in geballter Form auf schreibwillige Menschen wie mich treffen.

Auch in der Blogparadenzeit 2023 habe ich mir etliche ausgesucht – geschafft habe ich eine einzige. Einfach, weil mir die Idee so gefiel und das Thema meine Fantasie herauskitzelte. Von welcher ich rede? Von der Fantastic Business Story von Manuela Kramer.

Als Märchenerzählerin sollte es mir möglich sein, eine märchenhafte Story über meinen Alltag hinbekommen, oder? Na, ganz so einfach war es dann auch wieder nicht… doch schließlich, kurz vor Ende der Blogparaden-Zeit sprudelte die Geschichte doch noch aus mir heraus. Und tada, hier ist sie, meine Fantastic Business Story.

Wenn Tod und Teufel sich ein Stell-dich-ein geben

Das unzuverlässige Wetterorakel

Die ganze Woche über hatte es schon geregnet und auch an diesem Morgen war der Himmel wolkenverhangen und trübe. Von Zeit zu Zeit öffnete der Himmel seine Schleusen und mehr oder weniger große Wassermassen flossen auf die Erde. Ab und an aber riss die Wolkendecke auf und die Strahlen der Sonne brachen durch.

Immer wieder blickte die Märchenfee abwechselnd in den Himmel und in ihr magisches Buch. Ihr müsst nämlich wissen, sie besitzt ein besonderes Zauberbuch, das ihr, wenn sie die rechte Seite aufschlägt, ein Wetterorakel zeigt. An diesem Tag aber war das Orakel völlig unzuverlässig! So verkündete es einmal, dass gerade eben die Sonne schien, während ihr ein Blick in den Himmel verriet, dass es regnete.

Der Blick ins magische Buch half einfach nicht weiter.

Natürlich wusste die Märchenfee, wie sehr sich die Natur über den Regen freute und wie wichtig dieser für das Überleben von Mensch und Tier war, aber gerade heute brauchte sie ihn wirklich nicht! Zumindest in nicht am Abend, denn da hatte sie in den Märchengarten eingeladen. Nicht nur Menschen hatten ihr kommen angekündigt, sondern auch Tod und Teufel wollten sich just heute ein Stell-dich-ein in ihrem Garten geben. Es war wie verhext! Nun lud sie schon seit Juli in ihren Garten ein, um die Menschen in eine andere Welt zu entführen, und jedes Mal, ja wirklich jedes Mal, schien es, als ob der Wettergott ihr übel mitspielen wollte, nur um dann doch noch Gnade walten zu lassen. Wenn die Märchenfee hinaus aus ihrem Fenster blickte oder die Seite in ihrem Zauberbuch aufschlug, dann seufzte sie laut. Sie wusste einfach nicht, wie sie sich richtig verhalten sollte. Sollte sie allen absagen? Oder darauf hoffen, dass der Regen sich verzieht und die Sterne herauskamen?

Das Wetterorakel machte der Märchenfee den ganzen Tag über Sorgen. Nicht nur, dass es an diesem Tag völlig unzuverlässig war, nein, es prophezeite für den Abend ständig etwas anderes! Der Fee war klar, auf ihr Zauberbuch konnte sie sich an diesem Abend nicht im Geringsten verlassen.

Der Blick in den wolkenverhangenen Himmel

Immer wieder sah sie sorgenvoll in den Himmel. Am Nachmittag aber erschien am Himmel ein wunderschöner Regenbogen und die Märchenfee beschloss, dies als gutes Zeichen zu werten. Tief in ihrem Herzen wusste sie, auch dieses Mal würde alles gut gehen und das Wetter würde halten. Auch wenn ihr Herz in manchen Momenten verzagt war, so wusste sie doch, dass im Märchenland viele gute und hilfreiche Geister wohnten. Was lag da näher, als diese Mächte anzurufen und sie zu bitten, dem Regen eine kleine Pause aufzuerlegen, so lange, bis das Stell-dich-ein vorüber war und alle ihrer Wege gegangen.

Der Regenbogen erscheint – ein Lichtblick!

Kurz nach Anbruch der Dunkelheit machten sich die Märchenfee und ihr Gehilfe auf den Weg in den Garten. Noch immer nieselte es, doch sie beschlossen, sich davon nicht abhalten zu lassen. Schnell waren die Stühle für die Gäste aufgestellt. Während der Gehilfe die Fackeln aufsteckte, danach Lagerfeuer und Fackeln entzündete, sorgte die Märchenfee mit ihrem magischen Lappen dafür, dass die Stühle wieder trocken wurden. Schnell verteilte sie bequeme Kissen darauf und trat dann aus dem Märchengarten, um die Gäste in Empfang zu nehmen.

Die Reise ins Märchenland

Und dann geschah das Wunder: Der Regen hörte auf, just in dem Moment als die ersten Gäste kamen. Freudig suchten sie sich einen Platz und ließen sich gespannt nieder. Das Feuer brannte hell und der Wind blies glücklicherweise in eine Richtung, die niemanden völlig einräucherte.

Pünktlich zur vereinbarten Stunde erschienen Tod und Teufel und all die anderen, die ihr Kommen angekündigt hatten. Nun müsst ihr wissen, dass die Bewohner des Märchenreiches unsichtbar für die Augen der Menschen sind und die Gäste die Anwesenden mit ihren gewöhnlichen Augen nicht sehen können. Nur die Märchenfee weiß, dass unerkannt von den Menschen auch Gäste aus dem Märchenland im Garten weilten.

Die Märchenfee begrüßte die Anwesenden und entführte sie danach nur mit ihrer Stimme als Hilfsmittel direkt ins Märchenland. Während sie sprach erschienen die Bewohner des Märchenreiches vor den inneren Augen der Gäste. So wurden sie Zeuge, wie ein gewieftes Bäuerchen ein Teufelchen überlistete und wie ein Wollknäul ein Schaf davor rettete, allein beim Tod zurückbleiben zu müssen. Sie erfuhren warum ein wagemutiger Schmied weder für den Himmel, noch für die Hölle taugte und daher für alle Ewigkeit wandern muss. Sie erlebten mit, wie ein kleiner Junge seinen Vater mit einem Stück Knäckebrot vorm Tod rettete und wie ein abgedankter Soldat den Teufel überlistete und damit eine arme Seele vor dem Höllenfeuer rettete.

Die Reise ins Märchenland

Natürlich macht so ein Erleben hungrig und durstig. Wie gut, dass die Märchenfee an alles gedacht hatte und heißen Tee und Lebkuchen mitbrachte. An diesen konnten sich alle in einer kleinen Pause stärken. Während alle mit ihren Bechern noch am Feuer standen, leuchtete dieses plötzlich in allen Farben des Regenbogens auf. Wie konnte das sein? Unbemerkt hatte der Helfer ein magisches Pulver ins Feuer gestreut und sorgte so für dieses zauberhafte Licht.

Viel zu bald war die Reise ins Märchenland zu Ende. Eine ganze Weile noch blieben alle sitzen, ehe sich die Gäste auf den Heimweg machten, nicht ohne anzukündigen, dass sie das nächste Mal wieder mitreisen wollen.

Es regnet, es regnet

Kaum war der letzte Gast gegangen, begann es erneut zu regnen. Die feinen Tropfen fielen auf das Gesicht der Märchenerzählerin. Glücklich richtete sie ihren Blick nach oben und dankte all den Guten Mächten, die ihre Bitte erfüllt hatten und dem Regen für eine Weile Einhalt geboten hatten. Dann aber löschte sie mit ihrem Helfer alle Feuer, sammelte Becher, Kannen, verbliebene Lebkuchen und Stuhlkissen ein.

Als sie das Tor hinter sich schloss, blickte sie abermals lächelnd in den Himmel und sagte leise: „Ich freue mich auf das nächste Mal! Dann aber hoffentlich ohne Zitterpartie ums Wetter.“

Darf man (Volks-)Märchen verändern – und wenn ja, gibt es eine Grenze?

Jeder Märchenerzähler der frei erzählt und nicht rezitiert, verändert die Vorlage ein wenig. Er verwendet eine andere Sprache, schmückt das ein oder andere aus, erwähnt anderes womöglich nur so am Rande. Das gehört zum freien Erzählen dazu, finde ich. Meine eigene Sprache finden, die Geschichte so nacherzählen, wie es für mich stimmig ist. Zeitgleich stellt sich die Frage: Wie weit darf diese Anpassung gehen? Darf ich nach eigenem Belieben verändern, was mir nicht gefällt? Oder gehört einfach alles zur Geschichte, so wie es überliefert ist? Auch wenn mir manches nicht schmeckt? Wenn es mir zu brutal erscheint oder nach erhobenem Zeigefinger klingt, den ich nicht unterstütze? Aber wenn ich allzu viel verändere, ist dann die Geschichte noch immer das Ursprungsmärchen oder habe ich ein Kunstmärchen geschaffen?

Mündliche Tradition

Lange bevor Märchen aufgeschrieben wurden hat man sie erzählt. Man gab sie mündlich weiter und wir alle wissen, was passiert, wenn ich eine Geschichte erzähle, jener der sie erlauscht weitergibt und wir das dreimal hintereinander wiederholen: Jeder merkt sich das, was für ihn wichtig ist und die Geschichte verändert sich mit jeder Weitergabe. Gibt es also überhaupt das Märchen xy oder gibt es nur das Märchen xy überliefert von…?

Wenn jemand, so wie ich, eine große Märchenbibliothek besitzt und ein Märchen in mehreren Büchern auftaucht, so kann er unschwer feststellen, dass die Versionen nicht identisch sind. Noch spannender wird es, wenn man das ein oder andere Märchen in der Sprache besitzt, die in jenem Land gesprochen wird, aus dem es stammt. In diesem Fall hat man oft zusätzlich zu den unterschiedlichen Überlieferungen auch noch diverse Übersetzungsunterschiede. Es macht Spaß die verschiedenen Versionen nebeneinander zu legen und sich die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten anzusehen. Dabei kann man feststellen, dass, obwohl das ein oder andere verändert wurde, der Kern der Geschichte der gleiche bleibt.

Wenn ich als Erzählerin ein Märchen vorbereite das ich in unterschiedlichen Versionen besitze, so lege diese gern nebeneinander, sehe mir an, was wo überliefert wurde und übernehme bei den Unterschieden das, was für mich stimmig ist. Außerdem verwandle ich oft indirekte Rede in direkte, weil das für mich die Geschichte lebendiger macht. Lebendiges Erzählen gehört für mich unabdingbar zum freien Erzählen, das in der Tradition des mündlichen Erzählens steht.

Märchen wurden schon immer angepasst

Ob es uns bewusst ist oder nicht, Märchen wurden schon immer bearbeitet. Bestimmt könnte man viele, viele Beispiele dafür finden, ich selbst möchte mich hier aber mit zwei begnügen:

Die Brüder Grimm haben sehr bewusst die Geschichten, die man ihnen erzählte, so verändert, dass sie in die Zeit passten. So ist ihr Verdienst nicht nur die Erschaffung der wohlklingenden Märchensprache, sondern auch die inhaltliche Bearbeitung und Aufbereitung der Vorlagen nach ihrem eigenen Empfinden und ihren eigenen Motiven.

Vor einigen Wochen bin ich bei einer Märchenrecherche im Internet über den deutschen Geistlichen und Schriftsteller Johann Heinrich Lehnert gestolpert. Der Mann, der von 1782 bis 1848 lebte, brachte u.a. einige eigene Märchensammlungen heraus. In seinem Buch „Mährchenkranz für Kinder“ nahm er auch bekannte Märchen der Brüder Grimm und Charles Perrault auf, milderte dabei jedoch manche in seinen Augen wohl zu grausame Szene ab. Im Gegenzug dazu schmückte er andere Teile der Geschichten besonders aus.

Veränderte Märchen – Veränderte Botschaft

Märchen transportieren Weisheiten und Botschaften. Jede Veränderung – abgesehen von der rein sprachlichen Veränderung – ändert damit auch die Botschaft, die das Märchen in sich trägt. Ich erinnere mich noch gut an eine Märcheninterpretation während meiner Ausbildung, die sich einer freien Märchenerzählung anschloss. Den Titel des Märchens weiß ich nicht mehr, doch ich erinnere mich gut an den Märchenhelden, der ein junger Mann war. Während unserer Gespräche drehte sich viel darum, dass er, obwohl noch jung, all das bewerkstelligen konnte und so weise war. Wir stürzten uns regelrecht auf dieses „jung“. Als ich später das Märchen nachlas, musste ich feststellen, dass der Mann im Text mit keinem Wort als jung oder Jüngling oder ähnlichem bezeichnet wurde. Es hieß schlicht „der Mann“. Was war geschehen? In der Vorstellung der Erzählerin war der Mann schlicht jung und als freie Erzählerin, die nach Bildern erzählt, hat sie genau wiedergegeben, was ihrer Vorstellung entspricht – und uns damit, völlig unbewusst, eine andere Botschaft vermittelt als jene, die das Märchen im Originaltext besaß.
Nun war das eine unbeabsichtigte Veränderung, doch man kann Märchen auch bewusst verändern, und damit eine andere Botschaft in die Welt tragen. Es macht einen Unterschied ob ich eine Frau als Märchenheldin wähle, obwohl im Text selbst von einem Mann die Rede ist. Es ist wichtig, ob am Baum eine Pflaume oder ein Apfel hängt oder ob der Gegenspieler eine böse Hexe oder doch ein Zauberer ist. Jede Figur, jedes Ding das nicht nur Beiwerk ist, hat eine Botschaft für uns, ebenso wie die Attribute, die ich diesen zuschreibe. Verändere ich hier etwas, verändere ich deutlich die Weisheit des Märchens.

Darf ich ein Märchen also so tiefgreifend bearbeiten?

Die Frage lässt sich nicht einfach beantworten. Eine Patentlösung habe ich nicht und jede Erzählerin und jeder Erzähler muss selbst in sich hinein spüren, was wichtig und richtig für die Person selbst ist.

Manchmal ist die Überlieferung, die man in Händen hält einfach nicht stimmig. Manchmal spürt man: Da fehlt was! Manchmal will ein Detail einfach nicht ins Märchen passen. Soll man es dann einfach trotzdem so erzählen, wie es dasteht, obwohl man die Ungereimtheiten spürt? Für mich persönlich fühlt sich das nicht gut an. Soll man es einfach überhaupt nicht erzählen und dem Problem damit ausweichen? Das kann man natürlich, doch für mich ist das auch nicht stimmig, zumindest wenn mir der Rest gut gefällt oder gerade so gut zu einem Thema passt, das ich gerade erarbeite. Darf man es dann nach eigenem Gutdünken abändern? Aus meiner Sicht: Ja, aber… es ist dann schlicht nicht mehr das Ursprungsmärchen und das sollte auch erkennbar sein. Es ist dann eben nicht mehr das Märchen XY, sondern eine Geschichte nach den Motiven des Märchens XY. So fühlt es sich zumindest für mich stimmig an. Dazu gehört für mich auch, dass ich das klar kommuniziere, zumindest, wenn ich Name und Herkunft des Märchens bei einem Auftritt nenne. Ganz sicher aber muss ich darauf hinweisen, wenn ich das Erzählte interpredieren möchte.

Wie siehst Du das? Schreibe es mir gern in den Kommentaren.

Deine Märchenerzählerin

Heike Appold

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